So kann Flucht aussehen

Stell dir mal folgendes vor:

Deutschland wird unsicher. Es wird gefährlich, wenn du gegen die Regierung bist. Ein Bürgerkrieg keimt auf, der sich zu offenen Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Gruppen und der Staatsmacht entwickelt. Du willst nur noch hier weg. Indem du 10000 € (bzw. das Äquivalent davon) an einen Schlepper zahlst, kommst du illegal von Deutschland nach Norwegen und beantragst dort Asyl. Aufgrund des Bürgerkrieges in Deutschland gilt das Schengen-Abkommen für Deutschland nicht mehr und daher gilt für Deutsche in Norwegen eine Visa-Pflicht. Visa sind aufgrund des Bürgerkrieges so gut wie garnicht zu bekommen.

In Norwegen angekommen, wirst du mit hunderten anderer Leute in Lagern eingesperrt. Das Lager ist dreckig, es gibt zu wenig Duschen und Toiletten, an manchen Stellen riecht es nach Urin und Kot. Die Nächte sind kalt, da du in einem Zelt schlafen musst. Die Notunterkünfte sind noch im Bau. Du wurdest erstmal nur als Asylsuchend registriert. Bis dein Asylbescheid gekommen ist, ist es fraglich, ob du in Norwegen bleiben darfst. Du telefonierst viel mit deiner Familie und deinen Freunden, schreibst ihnen E-Mails, fragst wie es geht, ob sich die Lage gebessert hat. Sie berichten, wie alte Konflikte zwischen Ost und West, Nord und Süd, Katholisch und Evangelisch, “Passdeutschen” und “echten Deutschen” wieder aufflammen und den Bürgerkrieg weiter anheizen. Die Regierung ist zusammengebrochen und ein faschistisches Regime greift nach der Macht. Deutsche, die geflüchtet sind, gelten als Verräter. Du weist, dass du nicht zurückkannst. Du hoffst inständig, dass dir Asyl gewährt wird und deine Freunde und Familie nachkommen werden.

Während der Zeit im Lager siehst du außerhalb der Umzäunung die schönen Landschaften, in denen du gerne wandern würdest. Auch könntest du dir vorstellen, in Norwegen dauerhaft zu leben, dazu erst die Sprache zu lernen und dann in Norwegen zu arbeiten. Im Lager kannst du aber keiner regulären Arbeit nachgehen und so bleibt dir nur eins: warten, hoffen und die spärlich angebotenen Sprachkurse nehmen.

Monate später kommt die Antwort auf deinen Asylbescheid. Das Amt für Migration ist leider personell überlastet und braucht daher ziemlich lange, um deinen Asylbescheid zu bearbeiten. Wenigstens wurde deinem Bescheid stattgegeben und du musst nun Integrationskurse absolvieren. Du darfst zudem das Lager verlassen, sobald du eine Wohnung gefunden hast. Leider wird dir an einigen Stellen mit Misstrauen begegnet: Weil Deutschland Norwegen im 2. Weltkrieg überfallen hat denkt so mancher, dass jetzt, wo wieder so viele Deutsche kommen, eine schleichende Annektion Norwegens vorbereitet wird. Zudem wollen die Norweger in den umliegenden Dörfern das Asylantenlager nicht hier haben, “weil da eh nur Kriminelle sind, die unsere Werte ablehnen”. Diejenigen, die sowas sagen, verstehen oft nicht, was Bürgerkrieg bedeutet und wovor du geflohen bist. Die Anzahl deiner Freunde und Verwandten hat sich seit deiner Flucht verringert. Von manchen hörst du seit Monaten nichts mehr, von anderen weist du, dass sie getötet wurden. Du würdest die Lebenden gerne da herausholen, damit sie nicht mehr leiden müssen. Den Familiennachzug hast du längst beantragt und wartest wieder auf Antwort vom Amt für Migration.

Es verstreichen nochmal zwei Monate. Du hast eine Arbeit und eine Wohnung. Deine Arbeit ist nicht gut bezahlt, du bist als ausgebildeter Ingenieur überqualifiziert, aber als Ingenieur bekommst du keine Stelle. Auch hier vermutest du Vorbehalte, weil du Flüchtling bist. Dein Status als Asylant kann jederzeit entzogen werden, gefragt sind jedoch Ingenieure, die längerfristig in der Firma bleiben. Deine Wohnung ist sehr teuer. Du vermutest, dass dein Vermieter dich abzockt, weil du Flüchtling bist, aber es war die einzige Wohnung, die du dir bei deinem Gehalt noch leisten konntest. Andere Wohnungen waren angeblich bereits vergeben, aber es war wohl eher so, dass die Leute keinen Flüchtling in der Wohnung haben wollten. Ein paar Leute haben dir sogar offen gesagt, dass sie nicht an Flüchtlinge vermieten, da die eh keine Arbeit hätten und eh nur klauen würden.

Die Stimmung in Norwegen ist feindlich gegenüber Flüchtlingen geworden. Rechte Hetze und die Befürchtung, diese “Deutsche Welle” aus Asylanten würde Norwegen heimlich annektieren, sind alltäglich geworden. Als Reaktion will die Regierung nun den Familiennachzug sehr stark begrenzen, um nicht noch mehr Flüchtlinge ins Land zu holen. Du fragst dich, ob diejenigen, die über solche Gesetze nachdenken, eine Ahnung davon haben, was die Menschen in Deutschland durchmachen müssen. Dass diese Leute über Leben und Tod entscheiden. Ihre Politik stößt auf Zustimmung in der norwegischen Bevölkerung, zumindest gibt es kaum offene Ablehnung der Politik, und so wird der Familiennachzug abgeschafft. Kurz darauf erhälst du eine Antwort vom Amt für Migration: Dein Antrag auf Familiennachzug wurde abgelehnt. Das Kontingent für dieses Jahr wurde ausgeschöpft. Du musst es nächstes Jahr nochmal versuchen und hoffen, dass zumindest einer deiner Verwandten unter den 1000 Auserwählten ist, die nachkommen können. Dieses Prozedur musst du nun jedes Jahr wiederholen, bis all deine Verwandten entweder nachziehen können oder zwischenzeitlich gestorben sind.

Willkommen in deiner persönlichen Hölle…

Zum Glück gibt es in Deutschland keinen Bürgerkrieg, zum Glück müssen Deutsche nicht aus ihrer Heimat in ein anderes Land fliehen. Aber was hier beschrieben wurde, wird gerade mit Flüchtlingen gemacht, die nach Deutschland flüchten. Mehr dazu hier: https://www.wsws.org/de/articles/2018/02/01/flue-f01.html